Was ist Biografiearbeit?

Biografiearbeit – wie bitte?

Wenn ich sage, ich bin Biografietrainerin, ernte ich immer fragende Blicke.
„Trainerin für Biografiearbeit.“ Aha. Die Blicke sind kein bisschen weniger fragend.
„Ich helfe beim Erinnern. Ich leite dazu an, wie man die Schätze des eigenen Lebens hebt.“ Der fragende Blick weicht dann entweder einem total gelangweilten oder einem hoch interessierten. Ich halte mich dann an die zweite Gruppe, denn ich will ja niemanden missionieren.

Gleiches Leben – gleiche Erinnerungen?

Viele Menschen erinnern sich immer an das Gleiche, erzählen immer wieder dieselben Episoden und langweilen damit oft die Familie. Meine Schwester und meine Cousine, die großteils dieselben Dinge erlebt haben wie ich, sind immer ganz erstaunt, woran ich mich noch erinnern kann. Doch wenn ich dann ein bisschen nachhelfe, sind sie erstaunt, was ihnen auch auf einmal alles einfällt. Und meine Nichte hört begeistert zu. Sie ist fasziniert von unseren Geschichten.

Und was ist es jetzt wirklich?

Biografiearbeit ist sowohl die Beschäftigung mit der eigenen Biografie als auch angeleitetes Erinnern, das heutzutage vorwiegend in der Erwachsenenbildung, in der Altenarbeit und in der Seelsorge Anwendung findet (s.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Biografiearbeit).

Doch nicht nur Menschen, die reich an Lebensjahren sind, haben etwas zu erzählen, auch Volksschulkinder berichten über ihre Kindergartenzeit als wäre sie nicht 3 oder 6 Jahre früher gewesen sondern 36 oder gar 63, wenn nicht sogar 60 plus 30.

Lebenslauf – Der Lauf des Lebens

Schon in der Schule wird in Vorbereitung auf das spätere Berufsleben gelehrt, wie man einen Lebenslauf schreibt. Wurde er früher nur tabellarisch bzw. in Listen angeführt, gibt es heute auch öfter die ausführlichere Weise in Erzählform. (s.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Lebenslauf)

Der Inhalt von beiden Varianten gibt aber nur die Eckdaten wieder. Sie können aber in der Biografiearbeit hilfreich sein, da man sich leichter an Geschichten erinnert. Und diese Geschichten, diese Wahrnehmungen der Ereignisse, ergeben dann die Biografie. Symbole, die oft für den Lebenslauf verwendet werden, sind Lebenstreppen, Labyrinthe, Jahresringe, Puzzle, Jahreszeiten und natürlich der Lebensbaum.

Was macht eine Biografietrainerin?

Biografiearbeit ist angeleitetes Erinnern. Doch wie leitet man an? Hierzu gibt es verschiedene kreative Möglichkeiten wie zum Beispiel den Biografiekoffer. Er ist voll von Gegenständen. Und es ist spannend, welch unterschiedliche Geschichten den Menschen zu ein und demselben Gegenstand einfallen. Ein Leiterwagen zum Beispiel hat eine ältere Dame dazu veranlasst, mir ihre Erlebnisse der Flucht während des Krieges zu erzählen, eine andere berichtete darüber, wie sie mit ihren Puppen darin gespielt hat. Also zwei vom Gefühl her gänzlich unterschiedliche Erlebnisse. Wie ein Leiterwagen in einen Koffer passt? Das ist mein kreatives Geheimnis.

Schreiben oder erzählen

Es ist Geschmackssache, ob man sich in Form von Plauderstündchen oder Schreibwerkstätten erinnert. Beides hat seinen Reiz. Man kann für die Nachwelt aufschreiben oder nur für sich. Beim Erzählen sollte man allerdings mindestens zu zweit sein, denn bei Selbstgesprächen wird man oft belächelt.

Allein oder in der Gruppe?

Der Vorteil von Biografiearbeit in Gruppen ist, dass man beim Lauschen der Erzählungen der anderen an eigene Geschichten erinnert wird und diese zum Leben erwecken kann. Aber auch die Einzelarbeit schätzen viele meiner Teilnehmer.

Abgrenzung zur Therapie

Es kann in der Biografiearbeit vorkommen, dass unangenehme Erlebnisse zu Tage kommen. Die Grenze zur Therapie ist oft nicht genau zu erkennen, doch es ist wichtig, sie zu ziehen. Biografiearbeit ist kein Ersatz für professionelle Unterstützung einer Therapeutin. Ausgebildete Biografietrainer weisen dann in entsprechenden Situationen darauf hin.

Warum Biografiearbeit?

Ich hatte nie das Gefühl, Großartiges erlebt zu haben. Ich dachte immer, ich kann keine Geschichten erzählen. Ich meinte, das interessiert keinen.
Doch dann habe ich vor ca. 10 Jahren begonnen, Geschichten aus meinem Leben aufzuschreiben… Alltagsgeschichten. Nichts Weltbewegendes. Erlebtes. Aufgeschrieben. Nur für mich…
Ich hatte Spaß daran. Es fühlte sich gut an. Nach der 10. Geschichte wollte meine neugierige Nichte, dass ich ihr eine vorlese. „Bei dir war es viel cooler früher als bei uns heute.“, war ihre Reaktion. Sie hatte Freude an meinen Berichten, genauso wie ich meiner Tante und Oma früher gerne zuhörte. Und das ist auch mein Hauptaugenmerk in der Biografiearbeit.
Sie soll Spaß machen.
Sie soll sich gut anfühlen.
Sie darf auch nachdenklich machen.
Sie darf auch für die Nachwelt sein.
Sie ist spannend.
Sie ist interessant.
Jeder hat eine Biografie.