Ich bin wieder zu Besuch bei Walpurga…
95-14-51.
Es ist 12 Uhr Mittag und sie ist gerade mit dem Frühstück fertig geworden. Sie gibt mir die Hand. Mittlerweile habe ich mich an den ungewöhnlichen Händedruck, da Ringfinger und kleiner Finger steif nach innen gezogen sind, gewöhnt. Heute kramen wir in der „Vogelliedererinnerungskiste“, rezitieren die Strophen und singen. Der Text passt nicht immer ganz, wäre aber nur für diejenigen erkennbar, die wissen, was im Liederbuch steht. Denn ob man eine Zeile zwei Mal wiederholt, die Amsel und die Drossel vertauscht, aus einem Fink mehrere Finken macht oder die Taube mit der Henne verwechselt, stört uns im Rhythmus nicht.
Anschließende Fragen und Rätsel, die nur eine richtige Antwort kennen, bringen uns zu der Erkenntnis: „das habe ich vergessen“, „das weiß ich nicht mehr“, „mein Hirn tut nicht mehr so“ und endet in Aufforderungen wie „sag’s du“. Es gehen immer mehr Begriffe verloren, denke ich, um mich im nächsten Augenblick eines Besseren belehren zu lassen. „Elster, Fink, Gimpel“ – wie aus der Pistole geschossen. Die Aufforderung: Vögel nach dem Alphabet.
Zum Abschluss machen wir noch das Galgenspiel. F…..E gebe ich vor. „Familie“. Ich blicke Walpurga an und bin sprachlos. Ich habe kaum den Stift abgesetzt und sie weiß sofort das Ergebnis. Ich probiere das Spiel später zu Hause mit meinem Mann, der gerade seinen 51. Geburtstag gefeiert hat, aus. Selber Begriff. Er probiert ein R und ein B und überlegt und überlegt. „Du hast sowieso schon verloren.“ sage ich. Verständnislos blickt er mich an. Als er mit Kopf und Bauch am Galgen hängt, löse ich auf. Walpurga hat es mit 95 Jahren auf den ersten Blick gewusst. Auch mein 14 jähriger Sohn wird dem Test unterzogen. Er findet die Lösung, nachdem er mit dem Kopf hängt. Also auch verloren – gegen ein Gehirn, das nicht so dement ist, wie es manchmal scheint.